Salzburger internationales Rechtsinformatik-Symposion (IRIS 2016) – Teil 2
Salzburger internationales Rechtsinformatik-Symposion (IRIS 2016) – Teil 2
Das Internationale Rechtsinformatik Symposion IRIS fand von 25. bis 27. Februar 2016 in Salzburg zum 19. Mal statt und hat sich als bedeutende wissenschaftliche Tagung in Österreich und Mitteleuropa auf dem Gebiet der Rechtsinformatik einen festen Platz erobert. Der Schwerpunkt der Tagung lag im Informationsaustausch der führenden österreichischen und internationalen Rechtsinformatiker/innen über die rechtsdogmatischen, technischen, wirtschaftlichen, sozialen und philosophischen Fragestellungen des Rechts in der Wissensgesellschaft. Einige Referate – etwa zu internationalen e-Identitäten oder dem Diebstahl von Identitäten – wurden bereits in der letzten Ausgabe des Publicus 2016.6 S. 36 besprochen. In dieser Ausgabe nehmen wir Referate zu den Themen „Suchtechnologien” sowie zur medialen Präsenz von Rechtsinformatik in den Blick.
Besser Suchen und Finden
Über die Analyse von Suchanfragen zur Verbesserung von Suchtechnologien bei LexisNexis berichtete Anton Geist zusammengefasst Folgendes: Die Analysesoftware ermittle den Wortlaut der Suchanfrage, das verwendete Suchformular, die Trefferanzahl und einen Zeitstempel, jedoch keine Informationen zu den Suchenden. Ausgewertet wurden alle Suchanfragen aus einer Woche, von welchen 60 % „normale” Volltextsuchen gewesen seien. Unter den sogenannten Direktzugriffen, also gezielten Suchlinks zu Einzeldokumenten, sei die Mehrzahl die Suche nach Kommentierungen zu einer bereits bekannten Norm. Suchoperatoren würden zu 95 % NICHT genutzt. 20 % aller Suchanfragen seien im Betrachtungszeitraum mehrmals vorgekommen, davon allerdings die meisten in Form von Anfragen nach bekannten Vorschriftenkürzeln. Wir wüssten ja alle von uns selber, wie wir bei Google suchen, und darum könnten wir lediglich davon träumen, dass die Nutzer einer Rechtsdatenbank anders suchen, die Realität sehe so nicht aus. Verlagsseitige Dokumentempfehlungen und Verlinkungen allerdings würden intensiv genutzt.
Die Folgerungen des Referenten für zentrale Entwicklungsbereiche im Suchanfragen-Bereich seien: Autosuggest, und zwar weniger zur Anwendung von Querverweisen auf Thesaurus-Einträge als zur Korrektur von Tippfehlern, Ranking, Schulungen, das Mappen von Suchbegriffen auf Rechtsgebiete, sowie die Nutzung der gesammelten Suchanfragen zur Identifizierung von Content-Lücken.
Marius Roth stellte die Geschichte von LexFind.ch vor, einer Seite zur Aggregation von Schweizer Bundes- und Kantonsrecht, die seit 2006 durchgehend in Betrieb sei. Es handle sich nicht um ein zentrales Rechtsinformationssystem, es gebe auch keine abgestimmten Metadaten, aber eine dezentrale Organisation mit URI-Strukturen. 2016 werde auch das kantonale Vertragsrecht online auffindbar gemacht werden. LexFind beobachte alle kantonalen Vorschriftendatenbanken auf gelöschte, neu hinzugekommene und inhaltlich geänderte Vorschriften. Dabei gebe es keine speziellen Schnittstellen zu den kantonalen Datenbanken. Tägliches Updating sämtlicher Inhalte bzw. Neuerstellung der Indizes erfolge aufgrund gezielter Differenzrecherchen. Die Webseiten-Beobachtung von LexFind könne auch rein statistisch ermitteln, wie viele Regulierungen es gibt, wie oft sich diese ändern und wie intensiv der Änderungsanfall ist. Es gebe z. B. konstant stark 300 Schweizerische Bundesgesetze, deren Zeichenanzahl sei aber von 2007 bis 2015 von 100 Mio auf 135 Mio. gestiegen (ohne Einbeziehung der Alt-Versionen), d. h., die Bundesgesetze würden immer länger. Die Finanzierung von LexFind erfolge durch die Staatsschreiberkonferenz, also eine Kooperation der Kantonsregierungen. Strukturelle Änderungen auf den Seiten der Originaldatenbanken, wie z. B. der Übergang von HTML- auf PDF-Dokumente, erzeugten immer wieder technische Herausforderungen bei LexFind, insbesondere beim Mapping neuer (Meta-)Daten auf die inhaltlich entsprechenden Vorgängervorschriften.
Jürgen Lintzel berichtete über Zeitschriften-Jahresregister des Manz-Verlages aus und in der Rechtsdatenbank RDB. Es gehe dabei um alphabetische Personenregister, Sachregister, redaktionell erstellte Schlagwortregister, Rechtsprechungsregister – sortiert nach Gericht, Datum, Aktenzeichen – und chronologische Publikationslisten, jeweils aber willkürlich begrenzt auf das Erscheinungsjahr. Mithilfe einer Rechtsdatenbank mit Metadatensuche und Sortiermöglichkeiten hingegen könnten solche Register individuell bei der Datenbanknutzung abgefragt und zusammengestellt werden, auch über mehr als ein Jahr Betrachtungszeitraum. Diese Methode sei für Nutzer und Verlag günstiger. Das passendere Stichwort sei „Zeitschichtenregister” statt Zeitschriftenregister.
Roman Behul, Leiter der Forschungsabteilung bei Atos IT Solutions and Services als Lieferant für das slowakische Portal slov-lex.sk, ein Produkt des Ministeriums für Justiz (wörtlich für Gerechtigkeit „Ministerstvo Spravodlivosti Slovenskej Republiky”), gefördert durch Fonds der EU. Gleichzeitig mit der Bürgerinformation über das geltende Recht sei das Produkt auch eine Arbeitshilfe für Parlamentarier bei der Planung künftiger Vorschriften. Es zeige die angefragte Vorgänger-Version und die künftige Fassung von Paragraphen übersichtlich an, und erleichtere in dieser Weise die Entscheidungsfindungen der Parlamentarier, für die auch ein Vorschriften-Editor geplant sei, im Rahmen eines Informationssystems e-Legislative. Auch eine direkte Verlinkung mit den passenden EU-Vorschriften sei darin vorgesehen. Die Vorhersehbarkeit der Gesetzgebung und deren Transparenz sollen mithilfe des Systems ebenfalls erhöht werden. Registrierte Anwender könnten dann z. B. Vorschriftenentwürfe im Sinne der Einbeziehung interessierter Kreise (Lobbyismus, Bürgerbeteiligung) kommentieren.
Die mediale Präsenz von Rechtsinformatik
Von der FU Brüssel, Center for Law, Science, Technology and Society Studies (vub.ac.be/LSTS/index.shtml), war der Leiter Prof. Paul de Hert, eingeladen zum Plenarvortrag „From market place to networks. What have we (you/me) read lately?”
Der Redner stieg in seine Ausführungen ein mit der Bemerkung, Anwälte hätten viel zu tun, man müsse nur die Zeitungen aufschlagen. Apple wolle ein iPhone eines toten Verdächtigen nicht entschlüsseln. Honda rufe Airbags zurück. Die freie Meinungsäußerung werde torpediert, indem Antiterrorgesetze gegen Betrunkene, Künstler, Komödianten etc. angewendet werden. Jeden Tag werde über neue online-Technologien berichtet. Wir läsen alarmierende Nachrichten über Datenausbeutung von Nutzern von Bequemlichkeitssoftware, über Bedrohungen der Privatheit und der freien Meinungsäußerung; die Frage laute, ob wir vielleicht nur das Falsche lesen? David Collingridge habe 1980 geschrieben (The Social Control of Technology), dass technische Fortschritte regelmäßig schneller von den Nutzern akzeptiert und angewandt würden, als die damit verbundenen Auswirkungen vollständig ermessen werden könnten und auch lange bevor das Gesetz dann etwaige negative Auswirkungen regulatorisch eingrenzen könne; diese Eingrenzung erfolge dann teuer, langsam und mit einer gewissen Dramatik.
De Hert verwies auf den Autor Ulrich Beck (1944–2015): Die internationalen Verflechtungen und globalen Risiken seien so groß geworden, dass wirksames Risikomanagement nur im Wege internationaler Zusammenarbeit erfolgen könne. Individualistische Herangehensweisen hingegen seien zum Scheitern verurteilt. Das Gute daran sei, dass die Ungewissheit der Individuen durch z. B. europäische Einheit kleiner gemacht werden könne. Nationalstaatlichkeit sei inzwischen ein Zombie-Konzept. Nationale Interessen würden heutzutage am besten dadurch geschützt, dass man transnationale Wege gehe und Partnerschaften suche. Dies sei die andere Seite der Risiken der Globalisierung und insofern ein Lichtblick. Also ja, wir läsen die falschen Texte.
Gegenseitiges Vertrauen sei der Schlüssel für die Bewertung aktueller Pläne der EU zur Umsetzung des EuGH-Urteils C-131/12 zu Google Spain in der Datenschutz-Leitlinie (http://ec.europa.eu/justice/data-protection/article-29/documentation/opinion-recommendation/files/2014/wp225_en.pdf). – Facebooks Datenschutz gleichzeitig in mehreren Staaten gerichtlich überprüfen zu lassen und Googles Besteuerung in mehreren Staaten erzwingen zu wollen, sei aber nach Ansicht des Referenten kein guter Weg und keine echte „Internet”-Herangehensweise. Die Unvorhersehbarkeit des zuständigen Gerichts sei ebenso ein Problem: Z.B die Solange II (vom 22. 10. 1986, 2 BvR 197/83) und Kadi (vom 3. 9. 2008, C-402/05 P; C-415/05 P) – Entscheidungen von BVerfG einerseits und EuGH andererseits stellten im Namen des Grundrechtsschutzes die Kohärenz europäischer Rechtsschutzsysteme in Frage (gut sei manchmal nur gut gemeint).
Die Unvorhersehbarkeit von Verträgen trage zusätzlich zur Unsicherheit bei, vgl. ACTA, wo es zwar um Freiheitsrechte und Handel ging, aber die Verhandlungen geheim gehalten wurden. ACTA sei aber zurückgewiesen worden von verschiedenen Communities, sodass nachverhandelt werden müsse. Zu all den Unvorhersehbarkeiten komme nun aber auch noch die Unvorhersehbarkeit der Communities (viele Stimmen, aber welche sind die zu hörenden?).
Wenn man z. B. aus ACTA lernen wolle, dass eine vorbereitende Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden sollte, dann bleibe unklar, welche Öffentlichkeit man mit welchen Maßnahmen erreiche und wer sich wirklich äußern werde. Eine Frage laute: Wie macht man dann ein perfektes Gesetz? Die Antwort sei: Gar nicht. Man müsse gelehrte Vermutungen anstellen und raten, dabei aber offen bleiben für neue Erkenntnisse und deren Einarbeitung in bestehende Entwürfe, man müsse „responsive” sein. Was aber ist „responsiveness” im Verständnis von de Hert? „You have to have no own opinion or you have to hide it well.” Man dürfe keine eigene Meinung haben oder sie zumindest gut verbergen, damit man ahnen kann, welche Regeln die Mehrheit vermutlich akzeptieren werde. Auch so werde man zwar keine perfekten Gesetze hinbekommen, aber bessere als sie derzeit manchmal entstehen.
Spieler, Konsumenten, Cyborgs, Bürger, Hacker, Designer etc. seien seiner Beobachtung nach häufig zuversichtlich gegenüber der Zukunft und wir sollten vielleicht von ihnen lernen, weniger alarmiert zu sein. Wir könnten seiner Ansicht nach vieles entdramatisieren, wenn das Gesetz agil, angemessen, subsidiär und punktuell einschreite und ansonsten Verantwortung auch den Bürgern überlasse. „Legislatives Gesetz” sei nicht alles, was die „Rechtsordnung” ausmache, es müsse daher nicht alles durch positives Recht geregelt werden. Das Rechtssystem sei ein Ökosystem, welches aus miteinander verbundenen Communities bestehe. Das positive Recht des Cyberspace werde ein antwortendes Recht sein. Denn eine Vorab-Regulierung aller denkbaren Konstellationen sei zu fehleranfällig. Unter anderem auch, weil sich die Technologien dauernd änderten.
Zur Frage der Rückwirkung dieser Entwicklungen auf die Ausbildung der Juristen meinte der Referent: Einerseits: Rechtsanwälte würden nicht dadurch bessere Juristen, indem man sie ständig technologischen Herausforderungen aussetze und andererseits: Recht (nicht nur positives Recht, sondern die tatsächlich angewandte Rechtsordnung) sollte zwar technologieneutral sein, aber nicht ignorieren, in welchem technologischen Umfeld die Communities leben. Es müssten deshalb ständig Kompromisse gefunden werden. Insgesamt hielt de Hert – jedenfalls vordergründig – ein Plädoyer für mehr Optimismus.
Hinweis der Redaktion: Die Besprechungen weiterer Referate – etwa zum Thema „Spannungsfeld zwischen öffentlicher Sicherheit und privater Freiheit durch technische Fortschritte und Vernetzungen” – erfolgen in den kommenden Ausgaben des PUBLICUS.