3. Auflage 2022, 323 Seiten, 48 EUR
ISBN 978-3-415-07141-4
Richard Boorberg Verlag

Karrierechance Bürgermeisteramt

Karrierechance Bürgermeisteramt

Wenn jemand weiß, warum Bürgermeisterkandidaturen gelingen oder auch scheitern, dann ist dies Professor Paul Witt. Er war nicht nur über zwei Jahrzehnte Rektor und Prorektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, sondern leitet dort bis heute Seminare zum Thema „Wie werde oder bleibe ich Bürgermeister?“ Gemeinsam mit weiteren Praktikern, Bürgermeistern und Wissenschaftlern legt er nun als Herausgeber das Werk „Karrierechance Bürgermeisteramt“ mit dem Untertitel „Leitfaden für eine erfolgreiche Kandidatur und Amtsführung“ bereits in dritter Auflage vor.

Das Buch ist eine Werbung für das Bürgermeisteramt. Angesichts eines mitunter skurril anmutenden Bewerberfeldes bei so mancher Bürgermeisterwahl in den letzten Jahren bedarf es dieser Fürsprache jedoch auch. Denn die Zeiten, in denen auf freiwerdende Bürgermeisterstellen junge Absolventen der Verwaltungshochschulen mit einigen Jahren Berufserfahrung in kleineren Kommunalverwaltungen ins Amt gewählt werden, scheinen vorbei zu sein. Für viele Studierende an den Verwaltungshochschulen ist das Amt des Bürgermeisters angesichts der hohen Verantwortung, familienunfreundlicher Arbeitszeiten in den Abendstunden und an Wochenenden und einer immer unzufriedener wirkenden Bürgerschaft nicht länger attraktiv.

Dabei kann der Rezensent, selbst Bürgermeister einer 4000 Einwohner zählenden Gemeinde, dem Fazit von Stefan Gläser, dem ehemaligen geschäftsführenden Vorstandsmitglied des Städtetags Baden-Württemberg, dass es „im Ergebnis (…) kein erfüllenderes und befriedigenderes Amt“ als das Bürgermeisteramt gibt (S. 287), uneingeschränkt zustimmen. Kein anderes Amt im öffentlichen Dienst weist eine derartige Breite an Zuständigkeiten, Entscheidungskompetenzen und eben auch Entwicklungsmöglichkeiten auf.

Wer eigentlich Bürgermeister wird, welche persönliche Eigenschaften ein Bürgermeister(kandidat) mitbringen sollte und welchen Bürgermeister sich die Bevölkerung wünscht, diesen Fragen gehen Hans-Georg Wehling und Timm Kern nach.

Allen, die zunächst einmal nicht ganz in ein vermutetes Persönlichkeitsprofil aus Sicht des Wahlvolks passen sollten, macht der Beitrag von Elmar Braun Mut. Er war 1991 der erste direkt gewählte Bürgermeister in Deutschland mit grünem Parteibuch und blieb es über 32 Jahre. Sein Weg auf den Chefsessel im Rathaus von Maselheim im Landkreis Biberach war aufgrund seines Familienstandes (ledig mit unehelichem Kind), seiner fehlenden Verwaltungsausbildung und -erfahrung wie auch seiner Parteizugehörigkeit (grün in einem bis dahin erzkonservativen Umfeld) alles andere als vorgezeichnet. Andererseits, ganz so unbedarft wie es scheinen könnte, war Elmar Braun bei seiner ersten Wahl dann doch nicht. Er hatte sich bereits seine kommunalpolitischen Sporen als Ortschafts-, Gemeinde- und Kreisrat und Mitglied des grünen Landesvorstands verdient.

Auf die rechtlichen Grundsätze bei Bürgermeisterwahlen geht Jürgen Fleckenstein ein. Was die Inhalte eines erfolgreichen Wahlkampfes sein sollten, welche Strategie und Taktik es zu entwickeln gilt und inwieweit der Einsatz von Sozialen Medien wie Instagram, Facebook und Co. hilfreich sein kann, schreiben Berthold Löffler, Thorsten Frei, Christoph Beil und Norman Liebing. Im Ergebnis wird deutlich, dass ein Wahlkampf eher einem Marathonlauf als einem Kurzsprint gleicht. Da heißt es für Bewerber um das Bürgermeisteramt vor allem authentisch aufzutreten. Alles andere lässt sich in einem mehrwöchigen Wahlkampf sowieso nicht durchhalten und kommt noch vor dem Wahltag ans Tageslicht.

Die meisten Beiträge des Sammelbandes zielen zwar auf die in Baden-Württemberg geltende süddeutsche Ratsverfassung ab, die dem Bürgermeister ein besonders starkes Gewicht in dem Spannungsverhältnis als Vorsitzender des Gemeinderats, Leiter der Kommunalverwaltung und Repräsentant der Gemeinde zuweist. Die ausgesprochenen Empfehlungen und Hinweise lassen sich jedoch ohne Weiteres auf die übrigen Bundesländer übertragen.

Aber auch in Baden-Württemberg ist nicht alles Gold, was glänzt. Der Gesetzgeber hat selbst dazu beigetragen, dass das Bürgermeisteramt in den letzten Jahren an Attraktivität verloren hat, wie sich dem Beitrag von Lars Brügner über die Besoldung und Versorgung der Bürgermeister entnehmen lässt. So wird ein Bürgermeister, der nach der ersten Amtszeit nicht wiedergewählt wird, in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit seines Beamtenverhältnisses nur mit seinem Bruttoverdienst ohne zu berücksichtigende Sozialversicherungsanteile nachversichert. Auch braucht es inzwischen schon 28 Jahre im Bürgermeisteramt, also drei Wiederwahlen, um auf den abgesenkten Versorgungshöchstsatz von (nur noch) 71,75 vom Hundert der ruhegehaltsfähigen Bezüge zu kommen.

Einen Ausblick, wohin sich der Beruf des Bürgermeisters in Zukunft entwickelt, gibt Paul Witt. Der erste Teil des Buches schließt mit einem Plädoyer von Gerhard Banner, dass das Land starke Rathäuser braucht. Er zeigt die praktischen Unterschiede zwischen den Kommunalverfassungen mit einer eher konkurrenzdemokratischen Basis wie in Nordrhein-Westfalen und einer konkordanzdemokratischen Basis wie in Baden-Württemberg auf. Nach Gerhard Banner ist der Haushaltssaldo einer Kommune umso besser, je stärker die Machtstellung des Bürgermeisters ist (S. 234). In keinem anderen Bundesland verfügt der Bürgermeister über eine größere Machtfülle als in Baden-Württemberg, was sich demnach in einer soliden Finanzausstattung der Kommunen im Südwesten niederschlägt.

Der zweite Teil des Buches wendet sich an den neu ins Amt gewählten Bürgermeister und ist mit „Amtsführung“ überschrieben. Andreas Kost blickt auf Besonderheiten in Nordrhein-Westfalen. Sarina Pfründer benennt die Eckpunkte, die ein persönlicher Maßnahmenplan für die erste Zeit im neu gewählten Amt beinhalten sollte. Stefan Gläser geht auf die Funktionen und Aufgaben des Bürgermeisters ein, Jürgen Kegelmann stellt den Bürgermeister als Führungspersönlichkeit in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Eine Hilfestellung für ein leichteres und besseres Ankommen im Amt können ein Coaching und die kollegiale Beratung darstellen, über die Jürgen Fischer und Heinz-Joachim Feuerstein berichten.

Das vorliegende Werk ist die beste Wahlkampfausgabe für Bewerber/innen um ein Bürgermeisteramt. Hier wird in einer Vielzahl von praktischen Erfahrungen aus früheren Kandidaturen aufgezeigt, was in einem Wahlkampf wirklich wichtig ist und welche Fehler es unbedingt zu vermeiden gilt. Das Buch gehört daher zur Grundausstattung für einen erfolgreichen Wahlkampf. Zugleich bieten die Ausführungen all denjenigen Orientierung, die eine Kandidatur für den eigenen Karriere- und Lebensweg ernsthaft prüfen möchten. Und auch gestandenen Bürgermeistern bieten die facettenreichen Beiträge einen großen Fundus an Empfehlungen, wenn es um die Vorbereitung einer erfolgreichen Wiederwahl geht. Denn acht Jahre im Bürgermeisteramt sind schneller vorbei als man denkt.

Eine Rezension von:

 

Prof. Dr. Dr. Jürgen Louis

Honorarprofessor der Hochschule Kehl und Bürgermeister der Gemeinde Rheinhausen
n/a