02.12.2025

Das Gesetz für das schnellere Bauen

Neue Verfahren, weniger Standards und mehr Tempo im Baurecht

Das Gesetz für das schnellere Bauen

Neue Verfahren, weniger Standards und mehr Tempo im Baurecht

Der Anwendungsbereich des vereinfachten Verfahrens wird deutlich erweitert.  © Romolo Tavani – stock.adobe.com
Der Anwendungsbereich des vereinfachten Verfahrens wird deutlich erweitert. © Romolo Tavani – stock.adobe.com

Um baurechtliche Verfahren zu beschleunigen, bauliche Standards abzubauen und den Ausbau erneuerbarer Energien zu erleichtern, hat der Landtag von Baden-Württemberg am 18.03.2025 das „Gesetz für das schnellere Bauen” beschlossen.1 Das Artikelgesetz ändert die Landesbauordnung für Baden-Württemberg (Art. 1), die Verfahrensverordnung zur Landesbauordnung (Art. 2), das Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (Art. 3), das Gesetz zu dem Abkommen über das Deutsche Institut für Bautechnik (Art. 4) sowie das Bauprodukte-Marktüberwachungsdurchführungsgesetz (Art. 5). Der Wortlaut der Landesbauordnung kann neu bekannt gemacht werden (Art. 6).2 Das am 28.03.2025 verkündete „Gesetz für das schnellere Bauen” tritt mit Ausnahme einer Änderung des § 74 Abs. 1 LBO3, die erst sechs Monate nach der Verkündung in Kraft tritt, „drei Monate nach seiner Verkündung in Kraft”4; gleichzeitig tritt die Ausführungsverordnung zur Landesbauordnung außer Kraft (Art. 7). Der Beitrag soll nach einem Überblick (I.) die Maßnahmen zur Optimierung und Beschleunigung der Baugenehmigungsverfahren (II.) und den Abbau baulicher Standards (III.) aufzeigen. Sonstige Regelungen werden kurz aufgelistet (IV.).

I. Überblick

Der Anwendungsbereich des vereinfachten Verfahrens wird deutlich erweitert. Dabei wird erstmalig eine Genehmigungsfiktion eingeführt. Die Liste verfahrensfreier Bauvorhaben wird ausgeweitet. Bestehende Regelungen zur Typenprüfung werden durch umfassendere Regelungen über eine Typengenehmigung ergänzt. Die Vorschriften der Allgemeinen Ausführungsverordnung des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen zur Landesbauordnung werden in die Landesbauordnung eingebettet. Weitere Rechtsbegriffe werden legal definiert. Widersprüche in baurechtlichen und denkmalschutzrechtlichen Angelegenheiten werden abgeschafft, um Beschleunigungspotentiale zu heben. Teilweise werden bauliche Standards abgebaut. Erstmalig werden der Inhalt und die Reichweite des Bestandsschutzes gesetzlich definiert. Die Kinderspielplatzverpflichtung wird neugestaltet und die Abstandflächen- und Brandschutzregelungen werden geändert.

Um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern, ist die Ladeinfrastruktur künftig verfahrensfrei, wobei sich die Verfahrensfreiheit auch auf technische Nebenanlagen und eine damit verbundene Nutzungsänderung von Bestandsanlagen erstreckt.


Die geänderten Regelungen zur Bauvorlagenberechtigung sollen die Landesbauordnung an die Vorgaben der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07.09.2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen angleichen.

Das Bauprodukte-Marktüberwachungsdurchführungsgesetz sowie das Gesetz zu dem Abkommen über das Deutsche Institut für Bautechnik werden redaktionell geändert. Interessant sind die Kosten für die öffentlichen Haushalte. Bei den Regierungspräsidien fallen acht Planstellen für die Bearbeitung von Widerspruchsverfahren weg. Im Gegenzug werden acht Richterstellen bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit geschaffen.5 Der Gesetzgeber meint, durch die Änderung der Landesbauordnung komme es zu keinem bürokratischen Mehraufwand. Vielmehr würden Verfahrensabläufe beschleunigt und vereinfacht sowie rechtliche Anforderungen an Bauvorhaben gesenkt.6

II. Maßnahmen zur Optimierung und Beschleunigung der Baugenehmigungsverfahren

Der Gesetzgeber hat zahlreiche sehr grundsätzliche Änderungen für Baugenehmigungsverfahren vorgenommen:

 

1. Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren (§ 52 LBO)

Nach dem im Juli 2024 von der Landesregierung beschlossenen Referentenentwurf des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen7 sollte ursprünglich bei Bauvorhaben, ausgenommen Sonderbauten, neben dem Kenntnisgabeverfahren ausschließlich das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren eröffnet sein.8 Im Wesentlichen wohl auf Anregungen der Kommunen wurde diese Regelung entschärft9: Neben dem Kenntnisgabeverfahren ist das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nur zwingend bei Wohngebäuden der Gebäudeklasse 1 bis 4 sowie deren Nebengebäuden und Nebenanlagen. Bei allen anderen Bauvorhaben, ausgenommen Sonderbauten, gibt es ein Wahlrecht. Bauherren und die beauftragten Architekten werden sich daher nunmehr auch bei Wohngebäuden der Gebäudeklasse 4 daran gewöhnen müssen, dass sie wegen des eingeschränkten Prüfprogramms im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren künftig nur noch eine Baugenehmigung erhalten können, die dem jeweiligen Wohngebäude eine nur eingeschränkte formelle Legalität (Bestandsschutz) vermittelt. Denn es wird nur die Übereinstimmung eines solchen Vorhabens mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 14 und 29 bis 38 BauGB, mit den Abstandflächenvorschriften nach den §§ 5 bis 7 LBO sowie mit anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften außerhalb der Landesbauordnung und außerhalb von Vorschriften aufgrund der Landesbauordnung geprüft, soweit in diesen Anforderungen an eine Baugenehmigung gestellt werden oder soweit es sich um Vorhaben im Außenbereich handelt (§ 52 Abs. 2 LBO). Keiner Prüfung unterliegt folglich, ob Wohngebäude der Gebäudeklasse 1 bis 4 sowie deren Nebengebäude und Nebenanlagen anderen gesetzlichen Vorgaben insbesondere der Landesbauordnung entsprechen, wie z. B. zur Standsicherheit (§ 13 LBO), zum Brandschutz (§ 15 LBO) oder zu Stellplätzen (§ 37 LBO). Auch ist im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen, ob ein Wohngebäude der Gebäudeklassen 1 bis 4 oder dessen Nebengebäude oder Nebenanlagen mit örtlichen Bauvorschriften (§ 74 LBO) vereinbar ist, z. B. hinsichtlich der Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen (§ 74 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBO) wie etwa bei der Dachneigung oder in Bezug auf die Notwendigkeit oder Zulässigkeit und über Art, Gestaltung und Höhe von Einfriedungen (§ 74 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO). Baurechtsbehörden dürfen daher solche Vorschriften nunmehr auch bei Wohngebäuden der Gebäudeklasse 4 im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht mehr in den Blick nehmen.

Der Grundstückseigentümer hat künftig folglich auch bei Wohngebäuden der Gebäudeklasse 4 die Gesamtverantwortlichkeit für die Beachtung aller im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfenden Vorschriften, obwohl er in der Regel keine Kenntnis z. B. vom Brandschutz hat. Der beauftragte Architekt kann Kenntnis haben, wird aber allein aus Haftungsgründen die Beteiligung eines Brandsachverständigen anregen. Jedenfalls in den ersten Wochen und Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes ist wegen des sicher ganz erheblichen Arbeitsanfalls bei Brandschutzsachverständigen nicht mit kürzeren Zeiteinheiten bis zum Baubeginn zu rechnen. Für Erwerber von mit Wohngebäuden der Gebäudeklasse 4 bebauten Grundstücken, die sich bisher auf die mit der Baugenehmigung durch die Baurechtsbehörde vorgenommene (Voll-)Prüfung aller bauordnungsrechtlicher Vorschriften verlassen konnten, wird es beim Erwerb solcher Grundstücke künftig zur notwendigen Prüfung gehören, ob ein auf dem Grundstück errichtetes, im vereinfachten Genehmigungsverfahren genehmigtes Wohngebäude den in diesem Verfahren nicht geprüften Vorschriften entspricht. Die – bisher wenn auch nicht immer prompte und/oder reibungslose – Abstimmung zwischen der Baurechtsbehörde und der Feuerwehr entfällt. Für den Artenschutz kann neben dem vereinfachten Verfahren ein gesondertes Verfahren einzuleiten sein. Ferner kann zusätzlich eine Erlaubnis wegen der Anforderungen in einem Landschaftsschutzgebiet eingeholt werden müssen. Auch eine zusätzliche wasserrechtliche Genehmigung kann notwendig sein, da das repressive Verbot der Errichtung und Erweiterung baulicher Anlagen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten (§ 78 Abs. 4 WHG) keine Anforderungen an eine Baugenehmigung stellt.

Auch die Einhaltung der örtlichen Bauvorschriften muss nicht geprüft werden. Gleichwohl fallen Bauverständigen mögliche Verstöße ohne größeren Aufwand ins Auge. Die Baurechtsbehörde hat u. a. künftig damit auch bei Wohngebäuden der Gebäudeklasse 4 nur folgende Möglichkeiten: Sie kann mit der vereinfachten Baugenehmigung eine Anhörung vor Erlass einer Baueinstellungsverfügung versenden, wenn sie die Verletzung von nicht zum Prüfprogramm gehörenden, aber vom Bauherrn/Entwurfsverfasser zu beachtenden Vorschriften aufgreift. Sie kann auch im Laufe der Bauausführung oder nach Baufertigstellung die Verstöße aufgreifen. Das Ergebnis ist mehr als unbefriedigend und wird zum Unverständnis bei Bauherren führen. Nicht nur die Baurechtsbehörde hat bei einem nachträglichen Einschreiten erheblichen Mehraufwand, sondern erst recht der Bauherr, der entweder sein Bauvorhaben bereits fertig geplant oder sogar bereits mit den Bauarbeiten begonnen hat. Man stelle sich nur das Bauvorhaben vor, bei dem der Bauherr ein Wohngebäude der Gebäudeklasse 4 mit Flachdach beantragt und errichtet hat, obwohl nach der örtlichen Bauvorschrift nur geneigte Dächer zulässig sind. Alternativ kann die Baurechtsbehörde verstärkt mit Hinweisen arbeiten. Letztlich könnte die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens auch zu einer Untätigkeit führen: Belohnt würde derjenige, der sich über materielles Recht hinwegsetzt. Ein Bärendienst für den Rechtsstaat.

Die Rechtsunsicherheit für Bauherren und Investoren wird nun auch bei Wohnungsbauvorhaben der Gebäudeklasse 4 deutlich erhöht, weil sie – außer bei Sonderbauvorhaben – nicht mehr auf bestandskräftige Baugenehmigungen vertrauen können, bei deren Erteilung alle Vorschriften umfassend geprüft worden sind und die dem Vorhaben umfassende formelle Legalität vermitteln. Werden im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht geprüfte Vorschriften verletzt, verlagert sich die Prüfpflicht der Baurechtsbehörde auf § 47 Abs. 1 LBO und andere Eingriffsgrundlagen, insbesondere zur Untersagung von Bauarbeiten, auch auf Antrag eines Nachbarn. Die mit der Neuregelung beabsichtigte Entlastung der Baurechtsbehörden wird dadurch nicht erreicht. Ein zusätzliches Verfahren wird notwendig. Bauherren und Investoren können begonnene Bauvorhaben nicht fortsetzen, was deutlich höhere Baukosten verursacht als das Zuwarten auf eine Baugenehmigung nach Vollprüfung im Regelverfahren.

2. Typengenehmigung (§ 68 LBO)

Durch weitgehende Übernahme von § 72 a Musterbauordnung wird die Typengenehmigung in § 68 LBO eingeführt. Sie ergänzt die weniger weitreichenden Vorschriften der Typenprüfung (§ 68 Abs. 3 LBO) und schafft die Grundlage für das serielle Bauen. Nicht nur die bautechnischen Nachweise (wie im Rahmen der Typenprüfung), sondern alle standortunabhängigen Anforderungen an die baulichen Anlagen können vorweg einer baurechtlichen Prüfung unterzogen werden. Allerdings entbindet eine Typengenehmigung nicht von der Verpflichtung, ein bauaufsichtliches Verfahren durchzuführen. Jedoch müssen dann nur noch die nicht mehr in der Typengenehmigung entschiedenen Fragen geprüft werden (§ 68 Abs. 6 LBO). Eine Typengenehmigung gilt fünf Jahre, wobei die Frist auf Antrag jeweils bis zu fünf Jahre verlängert werden kann (§ 68 Abs. 4 LBO). Die Typengenehmigungen anderer Bundesländer gelten auch in Baden-Württemberg (§ 68 Abs. 5 LBO).

3. Einwendungsfrist (§ 55 Abs. 2 Satz 1 LBO)

Die in einer früheren Fassung der Landesbauordnung bereits auf zwei Wochen reduzierte Einwendungsfrist war mit der LBO-Novelle 2010 zuletzt mit der Begründung auf vier Wochen verlängert worden, dass sie z. B. bei Urlaubsabwesenheit meist noch rechtzeitig Einwendungen ermögliche, ohne dass es der ohnehin nur in einem geringen Teil der Fälle möglichen Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bedürfe.10 Nunmehr wird die Einwendungsfrist erneut auf zwei Wochen reduziert. Begründet wird dies mit der Beschleunigung des baurechtlichen Verfahrens. Da die Nachbarbeteiligung nur noch im Falle von Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen von drittschützenden Vorschriften erfolge, seien die für die Einwendungserhebung maßgeblichen Belange dem Umfang nach stark eingegrenzt. Eine nachbarliche Befassung im Rahmen der zweiwöchigen Frist sei daher angemessen und ausreichend.11

Eine Zwei-Wochen-Frist ist bei der nach § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO vorgesehenen materiellen Präklusion zu kurz und dürfte jedenfalls bei Anträgen auf Abweichungen, Ausnahmen oder Befreiungen (AAB-Entscheidung) für komplexe (Sonderbau-)Vorhaben nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar sein. Entgegen der Begründung des Gesetzentwurfs12 sind die für die Einwendungserhebung maßgeblichen Belange nicht stark eingegrenzt. Denn der Angrenzer wird über das gesamte „Bauvorhaben” benachrichtigt (§ 55 Abs. 1 Satz 1 LBO), nicht nur über den gesonderten Antrag für die AAB-Entscheidung (§ 53 Abs. 1 Satz 3 LBO). Er ist folglich nicht auf Einwendungen gegen die beantragte AAB-Entscheidung beschränkt, insbesondere enthält § 55 Abs. 2 LBO keine solche Beschränkung. Vielmehr kann der Angrenzer umfassend Einwendungen gegen das Bauvorhaben erheben und rügen, dass es auch mit drittschützenden Vorschriften unvereinbar ist, von denen keine Abweichung, Ausnahme oder Befreiung beantragt ist. Ungeachtet dessen ist auch die Beurteilung, ob maßgebliche Belange bei Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen von drittschützenden Vorschriften betroffen sind, von einem Normalbürger kaum selbst zu beurteilen. Für die Beauftragung einer anwaltlichen Vertretung sowie deren professionelle Aufarbeitung sind zwei Wochen zu kurz. Der Einwender wird wegen der scharfen Wirkung der Präklusion daher alle auch nur erdenklichen Rechtsverstöße rügen müssen, was zusätzlichen Prüfaufwand bei der Baurechtsbehörde bedeutet.13

Die Zwei-Wochen-Frist gilt erst in Verfahren, die ab dem 29.06.2025 (Inkrafttreten des „Gesetzes für das schnellere Bauen”) eingeleitet werden. Denn vor Inkrafttreten einer Änderung der Landesbauordnung eingeleitete Verfahren sind nach den bisherigen Verfahrensvorschriften weiterzuführen (§ 77 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. Satz 1 LBO).

Den gesamten Beitrag entnehmen Sie den VBlBW. Heft 9/2025

 

Dr. Hartmut Fischer

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Das könnte Sie auch interessieren