15.12.2014

Kinderarbeitsschutz und Integration

Novelle des Bestattungsgesetzes NRW betritt rechtliches Neuland

Kinderarbeitsschutz und Integration

Novelle des Bestattungsgesetzes NRW betritt rechtliches Neuland

NRW-Novelle enthält Aufstellungsverbot mit Kontrollsystem für Grabmale aus ausbeuterischer Kinderarbeit. | © Martina Berg - Fotolia
NRW-Novelle enthält Aufstellungsverbot mit Kontrollsystem für Grabmale aus ausbeuterischer Kinderarbeit. | © Martina Berg - Fotolia

Mit dem Gesetz zur Änderung des Bestattungsgesetzes vom 9. Juli 2014 ist das nordrhein-westfälische Bestattungsrecht zum 1. Oktober 2014 geändert worden. Durch die Novelle werden tradierte Formen des Bestattungswesens erhalten und die Friedhofslandschaft in ihrem Bestand geschützt, zugleich aber auch durch weitere Gestaltungsmöglichkeiten ergänzt.

Die Neuregelungen

Ein zentraler Aspekt der Novelle liegt darin, dass die Errichtung und der Betrieb von Friedhöfen auf gemeinnützige Religionsgemeinschaften oder religiöse Vereine übertragen werden kann, wenn diese den dauerhaften Betrieb sicherstellen können. Bestattungen sind danach noch umfassender als bislang unter Berücksichtigung des religiösen Empfindens z. B. muslimischer Religionsgemeinschaften möglich. Zudem wurde ein landesgesetzliches Aufstellungsverbot für Grabmale aus ausbeuterischer Kinderarbeit mit einem einheitlichen Kontrollsystem eingeführt. In den Bereichen Kinderarbeitsschutz und Förderung der Integration betritt Nordrhein-Westfalen damit rechtliches Neuland. Qualitätsverbesserungen der Leichenschau runden das Bild ab. Welche Veränderungen von diesen neuen Möglichkeiten ausgehen und sich etablieren, werden die nächsten Jahre zeigen.

Grabsteine aus Kinderarbeit

Das neue Bestattungsrecht NRW regelt ein Aufstellungsverbot für Grabmäler und Grabeinfassungen aus Naturstein, die mit ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt worden sind. Die Vorschrift will damit ein rechtspolitisches Signal zur Eindämmung dieser Form von Kinderarbeit setzen.


Grabmäler und Grabeinfassungen aus Naturstein dürfen nur aufgestellt werden, wenn sie

  • in Ländern hergestellt worden sind, in denen eine Missachtung des ILO-Abkommens Nr. 182 nicht zu erwarten ist,
    oder
  • wenn sie als kinderarbeitsfrei zertifiziert worden sind.

Bei vielen Friedhofsträgern bestand der Wunsch, die Verwendung von Grabsteinen, die aus Kinderarbeit stammen, auf ihrem Friedhof zu verbieten. Der Gesetzentwurf der Landesregierung sah zunächst nur eine Satzungsermächtigung für die Friedhofsträger vor, in eigener Verantwortung ein Aufstellungsverbot zu erlassen. Weil der Regierungsentwurf den Anforderungen einer nach Gesetzeseinbringung verkündeten BVerwG-Entscheidung (siehe hierzu Beitrag in PUBLICUS 2014.1, S. 14 ff.) nicht entsprach, wurden fraktionsübergreifend Änderungsanträge eingebracht, die ein landesweites Aufstellungsverbot für Grabmale aus ausbeuterischer Kinderarbeit sowie ein einheitliches Kontrollsystem vorschreiben.

Um die Schwierigkeiten, das Fehlen von Kinderarbeit zu beweisen, zu beheben, wurde ein staatliches Anerkennungssystem für Zertifikate geschaffen. Demnach darf ein Naturstein auf einem Friedhof verwendet werden, wenn eine anerkannte Zertifizierungsstelle das Fehlen von Kinderarbeit im Herstellungsprozess bestätigt hat. Die Zertifizierungsstelle muss die Unbedenklichkeit des Herstellungsprozesses bestätigen und die Steine durch ein Prüfzeichen entsprechend kennzeichnen. Anders als im Vergaberecht können etwa Erklärungen von Steinmetzen, Herstellern oder Importeuren über persönliche Kenntnisse der Produktionsbedingungen Prüfsiegel nicht ersetzen.

Das neue BestG NRW regelt auch das Verfahren zur Anerkennung der Zertifizierungsstellen. Es orientiert sich an den Kriterien der Neutralität und Transparenz. Die Anerkennung setzt voraus, dass die antragstellende Organisation die Kompetenz zur Durchführung der Zertifizierung besitzt. Sie muss über Fachwissen und Erfahrungen in der Konformitätsbewertung von Produkten, insbesondere in der Vergabe von Prüfzeichen verfügen und ihre Unabhängigkeit und Neutralität nachweisen. Zugleich bestehen Vorgaben für den Überprüfungsprozess im Herstellungsstaat. Kontrollen müssen unangekündigt erfolgen und dürfen nicht länger als ein halbes Jahr vor Erteilung des Zertifikats zurückliegen. Hierzu muss sich die Zertifizierungsstelle gegenüber der zuständigen Behörde verpflichten. Darüber hinaus muss die Zertifizierungsstelle der anerkennenden Stelle ihr Überprüfungssystem mit den dazu gehörigen Vorgaben und Anweisungen darlegen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit muss sie vor allem in Inspektionsberichten die Ergebnisse ihrer Überprüfungen festhalten und die Vergabe ihrer Zertifikate dokumentieren.

Beleihung religiöser Vereine

Viele Kommunen haben zwar auf ihren Friedhöfen muslimische Grabfelder eingerichtet und versuchen, die religiösen Gebote des Islam bei der Bestattung zu berücksichtigen. Hierbei stoßen sie aber vielfach an rechtliche und faktische Grenzen (etwa bei der ewigen Totenruhe). Dies führt – neben finanziellen Gründen – dazu, dass bisher ein großer Anteil der verstorbenen Muslime in ihre Herkunftsländer überführt wird. Für viele jüngere Muslime, die in dritter oder vierter Generation in Deutschland leben und für die eine Rückkehr in das Herkunftsland ihrer Vorfahren nicht mehr in Betracht kommt, ist die Überführung ihrer verstorbenen Angehörigen aber keine Alternative. Viele dieser Schwierigkeiten könnten durch die Einrichtung eigener muslimischer Friedhöfe behoben werden. Friedhofsträger konnten aber bislang nur Gemeinden oder Religionsgemeinschaften werden, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hat der Gesetzgeber eine Beleihungsmöglichkeit vorgesehen, um u. a. muslimischen Organisationen die Möglichkeit zur selbstständigen Führung eines Friedhofes zu ermöglichen.

Kommunale Friedhofsträger dürfen die Errichtung und den Betrieb eines Friedhofs danach auch auf religiöse Vereine übertragen. Die Übertragung setzt voraus, dass der dauerhafte Betrieb des Friedhofs sichergestellt ist. Für die Beurteilung einer solch anhaltenden Leistungsfähigkeit des Beliehenen ist eine prognostische Einschätzung erforderlich, ob er auf Dauer die finanziellen Mittel für den Betrieb eines Friedhofs bereitstellen kann. Entscheidend sind eine im Zeitpunkt der Entscheidung ausreichende Finanzausstattung und die Annahme, dass diese auch für die Dauer des Bestands des Friedhofs vorhanden sein wird. Daneben ist auch zu berücksichtigen, ob die antragstellende Organisation die für den Betrieb eines Friedhofs erforderliche Eignung besitzt. Hierzu gehören ausreichende Fachkenntnisse und Zuverlässigkeit.

Verbesserung der Qualität der äußeren Leichenschau

Seit über 20 Jahren gibt es in Deutschland Beschwerden über die Qualität der ärztlichen Leichenschau und Bestrebungen, die Leichenschau zu vereinheitlichen und zu verbessern. Durch die nunmehr landesgesetzlich eingeführte Möglichkeit einer stichprobenartigen Überprüfung und entsprechender wissenschaftlicher Begleitung ist zu erwarten, dass einerseits das Bewusstsein für die sorgfältige Durchführung der Leichenschau geschärft wird und andererseits belastbare Daten gewonnen werden können, die eine sachgerechte Grundlage bilden, um Modelle mit verbesserten Verfahren entwickeln und erproben zu können. Aufgrund der wissenschaftlich überprüften Ergebnisse kann später entschieden werden, ob sich ein Modellverfahren dafür eignet, als Regelverfahren etabliert zu werden. Beispielsweise könnte auch eine segmentierte Leichenschau erprobt werden. Zurzeit erarbeitet unter Federführung des Gesundheitsministeriums (MGEPA) das Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG.NRW) ein Studiendesign für eine entsprechende Überprüfung, Darstellung und wissenschaftliche Bewertung der aktuellen Situation.

Sonstige Regelungen

Durch die Novelle wurden des Weiteren formale Anforderungen reduziert, wo dies vertretbar erschien. Eingeführt worden sind z. B.

  • die Verkürzung der Mindestfrist und Verlängerung der Maximalfrist für die Bestattung sowie
  • Entbürokratisierungsregelungen.

Ein zusätzlicher wichtiger Aspekt ist die Nachweispflicht über den Verbleib der Totenasche. Auch wenn das nordrhein-westfälische Bestattungsrecht dem Selbstbestimmungsrecht und der Verwirklichung von unterschiedlichen Bestattungsbräuchen einen hohen Stellenwert einräumt, bedeutet dies nicht, dass Totenasche zur Privatsache werden und mit dieser beliebig verfahren werden darf. Die Nachweispflicht soll im Zusammenhang mit der Bestattungsfrist sicherstellen, dass die Beisetzung der Totenasche auch tatsächlich erfolgt, diese gemäß dem sittlichen Empfinden der Bevölkerung behandelt und grundsätzlich niemand von den Möglichkeiten der Abschiednahme und Trauer ausgeschlossen werden kann. Es soll verhindert werden, dass Totenasche gesetzeswidrig verwendet wird (z. B. durch Verpressung zu einem Kunstdiamanten und dessen Wiedereinfuhr, «Entsorgung» der Totenasche, Scheinbeisetzung der Totenasche im Ausland und anschließende Verwahrung im häuslichen Bereich usw.). Trauer und Totengedenken sollen für jeden, der dies wünscht, an einem zugänglichen Ort möglich sein und werden von den gesetzlichen Regelungen entsprechend geschützt.

Hinweise der Redaktion: Ein umfassender Beitrag zur Novelle des Bestattungsgesetzes NRW wird – voraussichtlich im 1. Quartal 2015 – in den Nordrhein-Westfälischen Verwaltungsblättern (NWVBl) erscheinen. Siehe auch den Beitrag Fessel zur Novelle des Bestattungsgesetzes Baden-Württemberg, in: PUBLICUS 2014.11, S.21 ff.

 

Dr. Frank Stollmann

Leitender Ministerialrat
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