28.10.2024

Die Konsequenzen des Anspruchsüberganges nach § 33 SGB II

... für den Leistungsberechtigten und diesem gegenüber Anspruchsverpflichteten

Die Konsequenzen des Anspruchsüberganges nach § 33 SGB II

... für den Leistungsberechtigten und diesem gegenüber Anspruchsverpflichteten

Ein Beitrags aus »Zeitschrift für das Fürsorgewesen (ZfF)« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrags aus »Zeitschrift für das Fürsorgewesen (ZfF)« | © emmi - Fotolia / RBV

Gemäß § 33 Abs. 1 SGB II gehen Ansprüche, die ein Leistungsberechtigter gegen einem Anderen hat, der nicht Leistungsträger ist, bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Träger der Leistungen nach dem SGB II über, wenn bei rechtzeitiger Leistung des Anderen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht erbracht worden wären.

Gemäß § 33 Abs. 1 SGB II gehen Ansprüche, die ein Leistungsberechtigter gegen einen Anderen hat, der nicht Leistungsträger ist, bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Träger der Leistungen nach dem SGB II über, wenn bei rechtzeitiger Leistung des Anderen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht erbracht worden wären.

Dieser altbekannte Anspruchsübergang im SGB II hatte nun eine Entscheidung des BGH zu einer etwas kuriosen Fallgestaltung zur Folge2. Geklagt hatte hier nämlich nicht der Träger der Leistungen nach dem SGB II aus übergegangenem Recht, sondern der Leistungsberechtigte selbst aus – vermeintlich – eigenem Recht. Der Leistungsberechtigte, der bereits im Leistungsbezug nach dem SGB II stand, hatte in der Zeit vom 1.9.2018 bis 30.6.2020 eine Wohnung bewohnt, bei der die monatliche Miete gegen die „Mietpreisbremse“ gemäß §§ 556 d ff. BGB verstieß. Zudem bestand wegen eines Wasserschadens für sechs Monate die Berechtigung zur Mietminderung auf „Null“. Die Miete für den Monat September 2018 entrichtete der Leistungsberechtigte noch selbst; für die Folgemonate übernahm der zuständige Leistungsträger nach dem SGB II die Zahlung der Miete. Obgleich der Leistungsträger trotz mehrfacher Anfragen den übergegangenen Anspruch des Leistungsberechtigten nicht auf diesen i. S. d. § 33 Abs. 4 SGB II rückübertrug, versuchte der Leistungsberechtigte dennoch, den Überzahlungsanspruch in Höhe von rund 11.000 € gegen den Vermieter selbst und in eigenem Namen durchzusetzen. In der ersten Instanz hatte er hiermit auch noch Erfolg; das Landgericht gab der Berufung des Vermieters jedoch statt und hob unter gleichzeitiger Klageabweisung das erstinstanzliche Urteil auf3. Da der bereicherungsrechtliche Anspruch der Leistungsberechtigten mit dem Leistungsbezug gemäß § 33 Abs. 1 SGB II auf den Leistungsträger übergegangen war, war der Leistungsberechtigte schlicht nicht mehr aktivlegitimiert.


Der BGH hat nun die Entscheidung des Berufungsgerichtes bestätigt. Die Bereicherungsansprüche des Leistungsberechtigten gegen den Vermieter entstanden Monat für Monat im Umfang der rechtsgrundlosen Überzahlung der Miete und wurden mit ihrem Entstehen fällig. Da der Leistungsberechtigte in dem maßgeblichen Zeitraum zugleich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezog, hätte er eine Rückerstattung überzahlter Miete durch seinen Vermieter als Einkommen des Klägers im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II einsetzen müssen.  Dies gilt auch für die Mietzahlung im September 2018, die der Leistungsberechtigte noch selbst entrichtet hatte. Selbst wenn der Leistungsberechtigte im Monat September 2018 noch keine Leistungen nach dem SGB II erhalten hätte, was insoweit streitig war, wäre auch für diesen Monat der Anspruch auf den Leistungsträger übergegangen, da auch Ansprüche, die in der Vergangenheit vor Leistungsgewährung entstanden sind, auf den Leistungsträger übergehen, wenn und soweit sie im Zeitpunkt der Leistungsgewährung noch nicht erfüllt sind.

Dem Umstand, dass der Leistungsträger den Vermieter zu keiner Zeit gemäß § 33 Abs. 3 SGB II über den Leistungsbezug informiert hatte, stand dem Anspruchsübergang ebenfalls nicht entgegen. Abgesehen davon, dass in der Literatur kontrovers diskutiert wird, ob eine solche schriftliche Mitteilung des Leistungsträgers nur an Unterhaltsverpflichtete zu richten ist oder sie bei allen Ansprüchen geboten ist, hat die Mitteilung bzw. deren Unterbleiben keine Auswirkung auf den Anspruchsübergang. Sie soll dem Leistungsträger lediglich die Inanspruchnahme des Anspruchsverpflichteten für die Vergangenheit sichern.

Die Bestätigung durch den BGH, dass die schriftliche Mitteilung i. S. d. § 33 Abs. 3 SGB II nur das Rechtsverhältnis zwischen Leistungsträger und Anspruchs – verpflichteten, nicht aber das Rechtsverhältnis zwischen Leistungsberechtigten und Anspruchsverpflichteten betrifft, wird in der Praxis möglicherweise weitreichende Folgen haben. Da der Vermieter in dem betroffenen Fall von Anfang an die Zahlung aufgrund des Anspruchsüberganges wegen fehlender Aktivlegitimation verweigert hatte, musste nicht mehr entschieden werden, ob der Vermieter überhaupt noch an den Leistungsberechtigten mit schuldbefreiender Wirkung hätte erfüllen können. Gemäß § 412 BGB sind die Bestimmungen der §§ 399 bis 404, 406 bis 410 BGB zur Abtretung auf den gesetzlichen Forderungsübergang entsprechend anwendbar. Gemäß § 407 Abs. 1 BGB kann ein Schuldner nur solange an den bisherigen Gläubiger schuldbefreiend leisten, wie er noch keine Kenntnis von der Abtretung der Ansprüche hat. Ab Kenntniserlangung sind Leistungen nur noch an den neuen Gläubiger möglich. Für den Fall des gesetzlichen Forderungsüberganges gemäß § 33 Abs. 1 SGB II bedeutet dieses, dass der Anspruchsverpflichtete ab dem Zeitpunkt, ab dem er vom Anspruchsübergang auf den Leistungsträger Kenntnis hat, nicht mehr an den Leistungsberechtigten leisten kann; tut er es trotzdem, setzt er sich der doppelten Inanspruchnahme aus.

Wann die Kenntnis vom Anspruchsübergang vorliegt, ist nicht abschließend entschieden. Klar ist, dass die Kenntnis vorliegt, wenn den Anspruchsverpflichteten die schriftliche Mitteilung i. S. d. § 33 Abs. 3 SGB II erreicht. Daneben genügt es aber auch, wenn der Anspruchsverpflichtete gewisse Rechtskenntnisse hat und ihm der Leistungsbezug bekannt ist. So geht die Rechtsprechung im Falle des Anspruchsüberganges gemäß § 86 Abs. 1 VVG davon aus, dass es bei einem Rechtsanwalt, der rechtsschutzversicherte Mandanten vertritt, die Kenntnis vom gesetzlichen Forderungsübergang auf den Rechtsschutzversicherer zu unterstellen ist4. Bereits früh hat das BAG5 im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Übergang des Lohnfortzahlungsanspruchs des Arbeitnehmers auf die Krankenkasse festgestellt, dass allein die Kenntnis des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer krankenversichert ist, die erforderliche Kenntnis gemäß § 407 Abs. 1 BGB noch nicht auslöst. Erfährt der Arbeitgeber jedoch, dass die Krankenkasse für einen bestimmten Zeitraum Krankengeld in bestimmter Höhe zahlen wird, reicht dieses dann für die Kenntnis vom Anspruchsübergang aus, auch wenn die tatsächliche Zahlung der Krankenkasse erst später erfolgt und daher auch erst später der Anspruchsübergang eintritt. Überträgt man diese Grundsätze auf den Anspruchsübergang gemäß § 33 Abs. 1 SGB II wird man zumindest bei professionellen Vermietern, aber auch bei Versorgungsunternehmen zu dem Ergebnis kommen, dass zumindest diese die maßgebliche Kenntnis i. S. d. § 407 Abs. 1 BGB erlangen, wenn sie vom Leistungsbezug des Mieters bzw. Kunden erfahren, beispielsweise, weil der Leistungsträger die laufenden Zahlungen direkt erbringt oder weil im Vorfeld der jeweilige Bewilligungsbescheid vorgelegt wurde.

In dieser Situation muss der jeweilige Anspruchsverpflichtete dann nicht mehr an den Leistungsberechtigten zahlen und kann es auch nicht mehr. Hier kommt dann nämlich die Problematik zum Tragen, dass in der Rechtsprechung weiterhin noch nicht abschließend geklärt ist, welche Relevanz die schriftliche Mitteilung i. S. d. § 33 Abs. 3 SGB II hat. Sofern sie bei allen Ansprüchen geboten und daher bei allen Ansprüchen Voraussetzung für eine rückwirkende Inanspruchnahme ist, wäre der Anspruchsverpflichtete, der im Interesse des Leistungsberechtigten eine Zahlung an diesen trotz des Anspruchsübergangs erbringt, hinreichend vor einer doppelten Inanspruchnahme geschützt. Sollte die schriftliche Mitteilung des Leistungsträgers aber dagegen nur im Falle einer Unterhaltsverpflichtung Bedeutung haben, könnte der Leistungsträger im Rahmen der Verjährungsfristen ohne Weiteres auch ältere Forderungen aus übergegangenem Recht verlangen; hat der Anspruchsverpflichtete bereits an den Leistungsberechtigten geleistet, müsste er noch einmal zahlen.

Diese Ungewissheit in Bezug auf die Bedeutung der schriftlichen Mitteilung gemäß § 33 Abs. 3 SGB II wird in der Praxis dazu führen, dass die Anspruchsverpflichteten vor etwaigen Zahlungen an den Leistungsberechtigten im Zweifel zunächst eine entsprechende Freigabe durch den Leistungsträger anfordern werden. Abgesehen davon, dass diese bei allen Beteiligten zu einer deutlichen Mehrarbeit führt, wird sich die Zahlungsabwicklung dadurch erheblich verzögern. Entsprechend bleibt zu hoffen, dass bald eine Klärung dieser Rechtsfrage durch den BGH erfolgt. Der vom BGH zu entscheidende Fall gibt aber auch noch aus anderem Grund Anlass zum Nachdenken: Das Jobcenter hat die gesamte Zeit nicht nur eine Rückübertragung gemäß § 33 Abs. 4 SGB II verweigert, sondern ist auch sonst nicht von sich aus tätig geworden, um die Ansprüche gegenüber dem Vermieter entsprechend aus übergegangenem Recht im eigenen Namen geltend zu machen. Aufgrund des Zeitablaufes sind die Ansprüche nun verjährt.

Die Entscheidung des BGH vom 5. 6. 2024 ist auf den folgenden Seiten mit amtlichem Leitsatz abgedruckt.

(1 entfällt)

2 BGH, Urteil vom 5. 6. 2024 – VIII ZR 150/23.

3 LG Berlin, Urteil vom 19. 4. 2023 – 64 S 190/21.

4 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. 5. 2019 – 24 U 171/18.

5 BAG, Urteil vom 20. 8. 1980 – 5 AZR 218/78.

Entnommen aus Zeitschrift für Fürsorgewesen 11/2024, S. 260.

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